Besuch der Übernachtungsstätte für obdachlose Menschen im Ostpark (o16) am 06.03.24
17:00 Uhr bis 19:45 Uhr
Teilnehmer:innen:
SPD hört hin: Cavit Ates, Björn Steffen
SPD OV Ostend: Canan Kesebir, Brigitte Born (Sozialvorsteherin Bornheim)
SPD OV Bornheim: (siehe SPD hört hin) und Uli Labonté (Vorsitzender SPD Bornheim und Mitglied des OBR4), Hedi Tschierschke, Davide Zecca
ASG: Stefanie Minkley, Robin Brünn (Vorsitzender ASG), Henry Dill, Björn Steffen
Übernachtungsstätte für Wohnungslose im Ostpark (o16):
Frau Christine Heinrichs (stellvertretende Geschäftsführerin des Frankfurter Vereins für Soziale Heimstätten und Leiterin des Bereichs Hilfe in Sozialen Notlagen)
Herr Paolo Mulé (Mitarbeiter in der Übernachtungsstätte für Obdachlose im Ostpark)
Zunächst informierte Frau Heinrichs über die Geschichte und über die zentralen Arbeitsschwerpunkte des Frankfurter Vereins für Soziale Heimstätten und der Übernachtungsstätte für obdachlose Menschen im Ostpark.
(folgende Info aus dem Internet)
„Der Frankfurter Verein für soziale Heimstätten wurde im Jahr 1910 gegründet. Heute bietet er Hilfen in verschiedenen Handlungsfeldern der Sozialarbeit. Die Palette umfasst ambulante Dienste, teilstationäre Einrichtungen und Wohnstätten. Mit diesem Angebot richtet sich der Frankfurter Verein vor allem an wohnungslose Mitbürgerinnen und Mitbürger, an Personen mit psychischen Störungen sowie an Frauen, die sich in Notsituationen befinden. In seiner Arbeit orientiert sich der Verein an der Interessenlage und den Bedürfnissen seiner Kunden.
Der Frankfurter Verein betreibt an rund 50 Standorten stationäre und teilstationäre Einrichtungen und ambulante Dienste zur Eingliederung oder Versorgung von psychisch kranken und seelisch behinderten Menschen sowie von Personen mit besonderen sozialen Schwierigkeiten. In den Einrichtungen werden etwa 4.500 Plätze vorgehalten.
Der Frankfurter Verein ist Mitglied im Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband.“
Von den aktuell 800 Mitarbeitenden des Vereins arbeiten ca. 300 im Bereich „Hilfe in Sozialen Notlagen“ an verschiedenen Standorten in Frankfurt. Dazu gehören Wohnheime, der Kältebus, das Nachtcafé, das Frauencafé, Wohneinrichtungen für Geflüchtete, drei Frauenhäuser uvm. Eine dieser Einrichtungen ist die Übernachtungsstätte für obdachlose Menschen im Ostpark.
Zusammen mit anderen sozialen Einrichtungen/Vereinen in Frankfurt erfolgt ein „Monitoring“ aller obdachlos lebenden Menschen in Frankfurt, um Hilfe in Notlagen leisten zu können und besonders während der gefährdenden klimatischen Jahreszeiten das Überleben zu sichern.
Das Konzept „Housing first“ wird von Frau Heinrichs kritisch gesehen, da es oft als alleiniges Mittel zur Überwindung der Obdachlosigkeit angenommen wir. Für viele der Klient:innen des Frankfurter Vereins sei es nicht das Problem, eine Wohnung bekommen zu können, sondern es sei vielmehr für die Menschen eine Überforderung, alleine zu wohnen und selbstständig eine Wohnung zu führen/zu bewirtschaften. Insgesamt sei es das Ziel in kleinen Schritten, Kontakt zu den Menschen aufzubauen, Angebote zu machen, kleine Erfolge zu erreichen und das Leben der Menschen zu verbessern. Nichts erfolge gegen den Willen der Menschen; Ziel ist es Beziehungen aufzubauen – das Leitbild ist „Kompetenz in Beziehungen“. Für viele sei das „alleine in einer Wohnung leben“, kein realistisches und erreichbares Ziel. Für andere Menschen könne aber auch die Wohnungsvermittlung ein Ziel sein. Mit der ABG gibt es eine Kooperation für einige Liegenschaften, in diesen Häusern der ABG gäbe eine niedrigschwellige Betreuung durch den Verein.
Die meisten der Menschen, die in Frankfurt obdachlos sind, seien psychisch erkrankt (>90%). Für diese Menschen sei aber das Label „psychiatrisch erkrankt“ häufig schwer zu ertragen – im Verein seien es deshalb einfach „Menschen in sozialen Notlagen“. Gerade für diese Menschen sei es auch sehr schwer, Rechts- und Sozialansprüche nach den Sozialgesetzbüchern und speziell der Eingliederungshilfe für Behinderte anzunehmen oder durchzusetzen, da sie häufig nicht in der Lage seien – auch mit Hilfe der Sozialarbeit – die bürokratischen Anforderungen die Leistungen zu beantragen und nachzuverfolgen. Die notwendige Selbstauskunft und ärztliche Begutachtung über eigene Defizite sei darüber hinaus für einige überhaupt nicht erreichbar. Wenn die Begutachtungen möglich sind, ist es für die Betroffenen sehr schmerzhaft und schwer zu ertragen. Für die Einrichtung sei es wünschenswert und hilfreich, die Finanzierung nicht über die jetzt individuelle Finanzierung der Einzelpersonen, sondern pauschal als Einrichtung durch den Leistungsträger des überörtlichen Sozialhilfeträgers, des Landeswohlfahrtsverbands zu erhalten.
An dieser Stelle sieht Frau Heinrichs und sehen wir die Möglichkeit zu versuchen, etwas über unsere politischen Kontakte zu bewegen. Frau Heinrichs wird uns die schon vorliegenden Unterlagen und Anträge zuschicken, damit wir damit weiterarbeiten und politische Konzepte vorantreiben können.
Zur Geschichte der Einrichtung im Ostpark/ Übernachtungsstätte für obdachlose Menschen im Ostpark:
Im Jahr 1990 tötete der „Hammermörder“ in Frankfurt in einer Mordserie mehrere Obdachlose. Dadurch wurde der hohe Bedarf an Sicherheit für obdachlose Menschen sichtbar, und es wurden am Allerheiligentor und später im Ostpark Zelte zum Übernachten aufgestellt (getrennt für obdachlose und drogenabhängige Menschen). Das Ziel war schon damals und ist es heute, die Menschen in ihren eigenen Wünschen zu unterstützen und nicht belehrend zu sein.
In den 90er-Jahren kamen dann neben verschiedenen Standorten im Stadtgebiet kleine Holzhäuschen und Container in – oder besser am Rande – der Grünanlage Ostpark dazu, die zuvor durch das Grünflächenamt im Ostpark genutzt wurden, bevor ab 2015 der feste Neubau errichtet wurde. Frau Heinrichs berichtet, dass sie sich vom Ortsbeirat und insbesondere von Hedi Tschierschke in dieser schweren Zeit mit viel Gegenwehr von den Anwohner:innen gut unterstützt gefühlt haben. Den Architekt:innen musste erst erklärt werden, dass es nicht darum ging ein nach außen großzügig offenes Gebäude zu planen, sondern dass die Bewohner:innen abgeschlossene Räume mit Rückzugmöglichkeiten brauchten. Gebaut wurde auf verdichtetem Moorboden und naturnah. Der Standort am Rand des Ostparks war und ist wichtig, damit die Bewohner:innen auch nachts bei Bedarf in den Park gehen können und ggf. laut und intensiv psychischen Druck abbauen können ohne die Nachbarn zu stören („die Gänse nehmen das ohne Klagen hin“). „Der weitläufige Ostpark ist ein Platz, der auch das Anderssein und in nicht stark frequentierten Zeiten nicht-angemessene Reaktionen zulässt“ sagt Frau Heinrichs.
Von den zur Einrichtung gehörenden Container-Wohnheimen in der Ostparkstraße 10 und 14, die in der Pandemie wertvolle Orte für Quarantäne waren, ist aktuell nur noch die Ostparkstraße 10 in Betrieb.
In der Einrichtung arbeiten 50 festangestellte Mitarbeitende (v.a. Soziale Arbeit, Hauswirtschaft). Es wohnen hier bis zu 200 Menschen in Doppel- und Einzelzimmern; davon 70 dauerhaft in Einzelzimmern. Es gibt einen getrennten Frauenbereich. Der Empfang ist durchgehend mit zwei Mitarbeitenden besetzt; keiner/keine, der/die Hilfe sucht, wird abgewiesen; allen wird ein Angebot gemacht, das aber auch in einer anderen Einrichtung sein kann, oder in der Versorgung mit Schlafsack und Isomatte besteht – jeweils das Angebot, das am besten zum hilfesuchenden Menschen passt. Nicht immer sind Plätze in der Einrichtung frei, deshalb muss auch auf andere Möglichkeiten ausgewichen werden. Wichtig ist den Mitarbeitenden der „Verzicht auf jede Demütigung“: jeder/jede in der Einrichtung bekommt einen Schlüsselchip für sein/ihr Zimmer, die Schränke sind abschließbar, Küche und Waschräume für alle nutzbar. So viel Normalität wie möglich ist angestrebt!
Frau Heinrichs berichtet auch über schiefgelaufene Hilfsversuche von Bürger:innen, die ohne Absprache Essen vor dieser Einrichtung oder anderen Einrichtungen verteilen. Dies erlebt Frau Heinrichs häufig als wenig hilfreich, da z.T. unangemessene Lebensmittel verteilt werden und es mit einer Geste von oben herab geschieht – alles Dinge, die die Einrichtung gerade vermeiden will. Der Wunsch: Jede Hilfe für die Menschen in den Einrichtungen möge doch unbedingt abgesprochen und an das Konzept angepasst werden.
Die Mitarbeitenden in der Einrichtung kommen aus einer Vielzahl von Nationen, werden nach Tarif bezahlt und erhalten Hilfe nach Bedarf (Supervision), Fortbildungen zu Deseskalationstraining, Kommunikation und Krisenintervention. Die Einrichtung arbeitet eng mit dem 5. Polizeirevier und dem Schutzmann vor Ort zusammen.
In der Einrichtung befindet sich für die Bewohner:innen ein Drogenkonsumraum und eine medizinische Ambulanz, die ärztlich und pflegerisch gut besetzt ist (somatisch und psychische Betreuung).
Nach 90 Minuten Gespräch, in dem wir viele Fragen stellen konnten, hatten wir die Möglichkeit in kleinen Gruppen mit Herrn Mulé durch die Einrichtung zu gehen und uns Wohnbereiche, Küchen, Waschräume, Empfang, Medizinische Ambulanz, Drogenkonsumraum und Außenbereiche anzuschauen. Herrn Mulé gelang es dabei, dass keine unangenehme „Zooatmosphäre“ entstand, sondern es ein angemessener Besuch mit viel Kommunikation war. Viele von uns waren beeindruckt von der Größe der Einrichtung, von der gelungenen Architektur, den geschaffenen Rückzugsorten, den gepflegten Gemeinschaftseinrichtungen und der angenehmen, ruhigen, entspannten Atmosphäre – zu der Herr Mulé ganz entscheidend beitrug.
Im Anschluss an die Rundgänge ging die Diskussion mit Frau Heinrichs und Herrn Mulé weiter – auch mit vielen Einzelbeispielen von Bewohner:innen, die im Protokoll nicht berichtet werden. Nach fast drei Stunden waren wir fast gezwungen, aktiv ein Ende zu setzen. Die Tatsache, dass wir fast doppelt so lange vor Ort waren, wie eigentlich geplant, zeigt, wie spannend, lehrreich und informativ der Besuch für uns alle war. Aber auch Frau Heinrichs und Herr Mulé betonen, dass sie sich über unser Interesse und unsere Fragen gefreut haben. „Wertschätzend, würdevoll, ruhig, eindrucksvoll, beindruckend“ waren einige der Worte, mit denen wir Teilnehmenden in der Abschlussrunde die Einrichtung beschrieben – beeindruckt waren wir aber auch besonders von Frau Heinrichs und Herrn Mulé und dem Engagement, mit dem sie die Arbeit für Menschen in besonderen sozialen Notlagen hier seit Jahren vorantreiben, wofür wir Ihnen unseren Dank und unseren Respekt aussprachen.
Insgesamt wollen wir mit der Einrichtung und den Menschen im Kontakt bleiben – insbesondere in Bezug auf die Frage, ob es möglich sein könnte, die Finanzierung nicht nur über individuelle Personen-Einzelfinanzierungen, sondern pauschal als Einrichtung über die Leistungsträger, insbesondere dem Landeswohlfahrtsverband zu erhalten.
Für das Protokoll nach einem beeindruckenden Besuch bei beeindruckenden Menschen in einer beeindruckenden Einrichtung,
Björn Steffen